Ingo Struck
Die Endlosschleife: Warum PDCA, Agile und Scrum sich wie dein Comfy Chair anfühlen
  1. Blog/

Die Endlosschleife: Warum PDCA, Agile und Scrum sich wie dein Comfy Chair anfühlen

·6 min

Die folgende Hypothese wird Management-Päpste ärgern.

Und Agile-Propheten auf die Palme bringen.

Für alle anderen vielleicht ein Denkanstoß – oder doch nur anstößig:

Der Erfolg von PDCA, Agile, Scrum und anderen zyklischen Managementmethoden liegt in ihrer Fähigkeit, die durch Endergebnisse verursachten psychischen Belastungen zu beseitigen. Diese Methoden bieten psychologische Sicherheit, indem sie die Angst vor dem Ende lindern und gleichzeitig die traditionellen Vorteile der Projektmanagementphasen beibehalten.

Wie ich auf den Unsinn komme? Beobachtung und Erfahrung.

Eine kurze Recherche mit meinem Silicon Sparring Partner™ ergab, dass diese Hypothese einen blinden Fleck in der Managementforschung darstellt. Sie könnte die Grundlage für eine Dissertation sein, die endlich erklärt, warum Manager so verliebt in ihre Endlos-Zyklen sind.

Wer mit dem Gedanken daran spielt, sei herzlich eingeladen, diese Hypothese gemeinsam mit mir zu veröffentlichen.

Das Problem mit dem Ende

So viel vorab: Die Angst vor dem Tod ist recht gut erforscht.
Stichwort: Terror Management Theory.
Die Angst vor dem Abschluss weniger.
Stichworte: Completion Anxiety, Prokrastination.

Endlich geschafft! Oder?

Jahrelang gebüffelt. Hunderte von Überstunden geschoben.

Wochenendschichten. “Pizza-Days”.

Dann der Launch. Dann das Zertifikat. Dann die Abschluss-Party. Dann der Kater.

Nicht, weil Du es mit Deinem Lieblingsgetränk übetrieben hast. Auch nicht, weil du morgens um 6 das Licht nicht mehr löschen musstest.

Sondern weil es vorbei ist.

Es gibt einen Grund für Tom Cargills Regel: „Die letzten 10% dauern genau so lange wie die ersten 90%.“

Du denkst: Klar, am Ende wird es technisch komplex.
Ich behaupte: Der Grund ist nicht, dass Du Dir die besten (schwersten) 10% gern bis zum Schluss aufsparst.

Sondern, dass Du nicht aufhören kannst.

Du hast Angst vor dem Ende.

Weil Du das Ende nie eingeplant hast.

Nicht das Deiner Schulzeit.

Nicht das von Deinem Projekt.

Nicht das von Deinem Audit.

Nicht Dein eigenes.

Das Problem mit dem Projekt

Ein klassisches Projekt ist aber genau das.

Terminiert. (Management-Experten wissen, dass dies ein Teil des SMART-Seins ist.)

Es hat einen Zyklus. Genau einen.

Du planst. Du investierst. Du baust. Du gibst ab.

Und dann gewinnst Du. Oder Du verlierst.

Vielleicht hängt Deine Bezahlung davon ab. Oder Dein Bonus.

Dein Albtraum.

Die letzten Prozente geben Dir die Chance, immer noch zu gewinnen.

Manchmal über Jahre.

Ich kenne Projekt-Portfolios, in denen 90% der Projekte auf 90%+ Fertigstellung standen.

Immer. Die Liste wuchs jedes Jahr.

Anfangen ist einfach. Aufhören tut weh.

Übrigens: Auch Projektmanagement scheint ziemlich gut erforscht zu sein.

Das Problem mit der Physik

Ich habe Physik studiert. An einem Institut für Teilchenphysik. Mit Stipendium. Aber ohne Abschluss.

Weil ich zu früh die Perspektive verstanden habe: Maximal zwei abgeschlossene Experimente in Deinem Leben. Vielleicht auch nur eins. Vielleicht gar keins.

Du stirbst, und am nächsten Tag kommt nach Jahrzehnten der Durchbruch.

Ohne mich. Ich wollte schnellere Erfolge.

Also lieber Software-Entwicklung. Full-Stack danach. Jetzt Informationssicherheit.

Das nur am Rande.

Die Illusion der Unendlichkeit

PDCA (Plan-Do-Check-Act) ist ein genialer Trick.

Der Zyklus hört nie auf. Scheinbar.

Unendliches Wachstum. Unendliche Verbesserung.

ISO-Management-Standards verbriefen das formal.

Die fortlaufende Verbesserung ist nicht nice-to-have. Sie ist verpflichtende Normforderung.

Und das ist großartig.

Denn Dein Erfolg wird zwar gemessen. Sogar eingehend geprüft.
Er ist aber nie endgültig.

Du hast fast immer eine zweite Chance.

Denn nach dem Audit ist vor dem Audit.
Und nach dem Release ist vor dem Release.

Continuous Delivery treibt es auf die Spitze.

Immer am Ball. Immer ganz vorn. Immer Bleeding Edge. Never roll back. Roll forward.

Bis zum Umfallen.

Der wirtschaftliche Vorteil

Immer im Kreis zu laufen hat auch einen praktischen Wert.

Du wirst nie arbeitslos.

Selbst wenn Deine Kurve der Verbesserung asymptotisch ist. Sie muss es sein. Fast nichts ist unendlich. Die zwei möglichen Ausnahmen kennst Du. Die zitiere ich hier nicht.

Doch Dauerbeschäftigung ist noch nicht alles.

Agile steigert auch noch Deine Produktivität. Um 20-40%.

Wenn man Suchmaschinen danach fragt. Manchmal tauchen andere Zahlen auf.

Ursprung? Unklar.
Evidenz? Zweifelhaft.
Verbreitung? Epidemisch.

Darüber können sich die Management-Experten trefflich streiten.

Außerdem hängt die zyklische Arbeitsweise direkt mit ARR zusammen.

Wenn Dein Prozess erstmal läuft, lieferst Du Features am laufenden Band.

Dein USP von gestern ist morgen „Baseline“. Das Kano-Modell lässt grüßen.

Du kannst alles zum Abo machen.

Du willst nicht einmalig eine Lizenz verkaufen.

Du willst Abos verkaufen.

Am besten auf Lebenszeit.

Bloße Behauptung? Vielleicht. Aber plausibel.

(Na, Lust auf meine nächste Hypothese?)

Gut, zurück zum Boden der Tatsachen.

Der Realitäts-Check

In der Realität sieht das zyklische Vorgehen dann so aus.

Nach ein paar Monaten stellst Du fest, dass Dein Backlog immer länger wird. Linear. Mit einem fleißigen Team exponentiell.

Dein Burn-„Down“-Chart zeigt zum Himmel.

Aber Du kannst einfach nicht loslassen.

Denn Du denkst: Vielleicht hat das Work Item 1538 in 3 Jahren doch noch Relevanz? Wäre doch schade, wenn man es dann wieder neu erfinden muss.

Ich habe mich schon von Dingen und Gewohnheiten zu spät getrennt. Besonders solche, die nachweislich nicht funktioniert haben.

Du sicher auch. Wie plädierst Du? … Gestehe!

Dein Backlog-Owner ist längst gegangen.

Dann wirfst du das ganze Backlog weg. Weil das strukturierte Sortieren einen unterirdischen ROI hat. Du kennst das.

Da ist es wieder, das leidige Ende.

Du musst rigoros wegwerfen.

Denn auch Agile funktioniert nur, wenn das Ende (regelmäßiges Aufräumen), fest mit eingebaut ist.

Wie festgestellt: Das tut weh.

Genau so wie Deine Morgengymnastik. Wenn Du sie nicht jeden Tag machst.

Früher habe ich gefochten. Die Sommerferien spülten jedes Mal meinen Trainingserfolg weg.

Bis ich gelernt habe, eigenständig weiter zu trainieren. Warum ich das Fechten aufgegeben habe? Tut nichts zur Sache.

Zu zyklischen Methoden gehört also Regelmäßigkeit. Und eine gute Portion Disziplin.

Kurz gesagt: Jeden Tag ein bisschen Ende.

Immer aufräumen. Wie unangenehm!

Zu unseren Waffen gehört: …rücksichtslose Effizienz.

Schluss damit!

Du magst Dich jetzt fragen: „So what?“ Worauf willst Du hinaus?
Nettes Geschreibsel.

Aber: Was fangen wir damit an?

Was wäre Deine Handlungsempfehlung? Dein „Actionable Item?“

(Übrigens werden Dich gute Manager ständig mit dieser Frage konfrontieren.)

Ganz pragmatisch: Schau Dir jeden Tag das Ende Deines Backlogs an. Nur den letzten Eintrag.

Älter als ein Jahr? Nicht zugewiesen? Priorität kleiner als „hoch“? Weg damit!

Weitere Fragen:

Müssen wir uns doch mit dem Ende abfinden?

Oder gar anfreunden?

Sollten wir Agile wegwerfen?

Vielleicht hast Du noch ganz andere Fragen im Kopf.

Genau an diesen Fragen bin ich interessiert.

Denn die Hypothese am Anfang will ja erforscht werden. Sie verdient es.

Oder doch erst der Anfang?

Ganz im Sinne von PDCA und Agile werfe ich diesen ersten Artikel in den Ring.

Mit dieser Sicht auf zyklische Management-Methoden:

Zyklische Management-Methoden sind empirische Prozesse, die sich an einer Anreihung von Experimenten abarbeiten. Dabei ist der Output eines Experiments als Input des nächsten zu verstehen.

Wenig erstaunlich ist hier von Enden gar keine Rede. Nur von Experimenten. Völlig leidenschaftslos.

Das ist nur ein Testlauf. Ich starte einen Versuchsballon. Es heißt ja immer wieder so schön: Fail Fast.

Wenn die Resonanz gut ist, kommt hier bald mehr davon. Ansonsten lege ich das gleich ad acta.

Ein ewiges Überleben dieses ersten und einzigen Blog-Beitrags in archive.org wäre nicht sein schlimmstes Schicksal.